Headline: Du bist, was du atmest? Zur Messung der Luftqualität in Berlin

Berlin ist nicht Holland, aber es gibt in der ganzen Stadt eindeutig eine vernünftige Fahrradinfrastruktur. Und wer in Berlin Rad fährt, hat unterwegs auch nicht nur Autos als Gesellschaft. Einmal abgesehen von der Debatte darum, welche Städte am fahrradfreundlichsten sind, fahre ich gern Rad, und in diesem Sommer bin ich mindestens einmal die Woche von der Arbeit nach Hause geradelt. Für mich bedeutete das eine Fahrt von rund 30 Kilometern und knapp zwei Stunden Dauer, je nach Verkehr, Ampelschaltung und der Energie, die ich am Ende eines Arbeitstags noch übrig hatte. Meine Radtour begann in Potsdam am Institute for Advanced Sustainability Studies und endete am anderen Ende von Berlin in Friedrichshain. Sie führte mich über breite, autofreie Wege durch den Grunewald, verstopfte Straßen in Charlottenburg und etwas fahrradfreundlichere Verkehrswege in Mitte und Friedrichshain. Das soll nicht heißen, dass es in Charlottenburg keine fahrradfreundlichen, staufreien Straßen gibt, aber durch sie führte meine ziemlich direkt gewählte Route auf ihrem Schlängelkurs durch Berlin nicht. Und tatsächlich machten gerade diese sehr unterschiedlichen Umgebungen die Sache am Ende interessanter. Denn obwohl ich gern Rad fahre, war ich auf diesen Touren nicht nur aus Spaß unterwegs, sondern ich sammelte auch Daten. Man könnte sagen, meine Radtouren fanden „im Namen der Wissenschaft“ statt.

Off to another bike trip from Potsdam to Berlin-Friedrichshain.

Diesen Sommer führten mein Kollege Boris Bonn und ich eine Messkampagne (BÄRLIN 2014) durch, um unterschiedliche Aspekte der Luftqualität in Berlin zu bewerten und zu beschreiben. Zunächst bestand ein Interesse an der Messung flüchtiger organischer Verbindungen (VOCs). VOCs sind Verbindungen, die sich bei Umgebungstemperatur im gasförmigen Zustand befinden (daher „flüchtig“) und meist einen Geruch verströmen: Die Düfte, die man zum Beispiel rund um Blumen, Bäume oder trocknende Farbe wahrnimmt, sind VOCs, die von diesen Quellen abgegeben werden. Diese Verbindungen sind Vorläufersubstanzen bei der Bildung von Ozon. Ozon und Feinstaub (PM) sind für den Großteil der Gesundheitsschäden durch Luftverschmutzung verantwortlich. Unser wissenschaftliches Interesse an VOCs rührte teils daher, dass sie nicht besonders oft gemessen werden, und vor allem nicht in Städten. Zudem ist zwar ihr Ausstoß reguliert, nicht aber ihre Konzentration in der Luft (was bei Feinstaub der Fall ist), und das heißt, es gibt keinen Anreiz, sie langfristig zu überwachen. Mit unseren Messungen wollten wir den relativen Beitrag von natürlichen und anthropogenen VOC-Quellen im städtischen Umfeld Berlins erfassen. Berlin ist eine sehr grüne Stadt, deshalb gibt es eine Menge natürliche VOC-Quellen neben den künstlichen, für die Stadt typischen (zum Beispiel Autos). Aber meine wissenschaftliche Begeisterung lässt mich abschweifen. Das eine (der Wunsch, VOCs zu messen) führte zum anderen, und schon bald hatten wir eine gar nicht mehr so kleine Messkampagne mit mehreren Partnern in Gang gesetzt, die eine viel umfassendere Beschreibung der Luftverschmutzung zuließ. Ein Aspekt dabei war die Messung per Fahrrad.

Jedes Mal, wenn ich im vergangenen Sommer nach Hause radelte, maß ich den Feinstaub in der Umgebungsluft, die ich einatmete, während ich in die Pedale trat. Also die warme Bö, die mir entgegenwehte, wenn ein Bus vor mir anfuhr, oder der Gestank eines Mopeds, das mich überholte, all das wurde gemessen. Wir benutzten zwei Instrumente (eine großzügige Leihgabe des Umweltbundesamts für die Dauer der Kampagne), die Anzahl und Größenverteilung der Partikel maßen. (Mobile Messungen individueller VOC-Spezies sind zurzeit nicht möglich, andernfalls hätte ich sie auf jeden Fall einbezogen!) Kleinere Partikel führen meist zu schlimmeren Gesundheitsschäden als größere Partikel, und zwar wegen ihrer Quellen und weil sie tiefer in Lunge und Blutkreislauf eindringen können. So kann die Größenverteilung neben Informationen darüber, wie viele Partikel auf je verschiedene Größenklassen entfallen, interessante Einblicke in Belastung und gesundheitliche Folgeerscheinungen geben. Um die Partikeldaten mit Bedingungen, Quellen und Standorten verknüpfen zu können, machten wir Videoaufnahmen der Radtouren und sammelten dabei GPS- (also Standort-) und Temperaturdaten. Allgemeine Beobachtungen oder Ungewöhnliches, einschließlich der Wetterbedingungen, wurden in ein Logbuch eingetragen.

Mein Glück war, dass ich nicht als Einzige in die Pedale trat und Daten sammelte. Auch viele meiner Kollegen beim IASS nahmen die Instrumente auf dem Weg von und zur Arbeit oder anderen Fahrten mit. Nun haben wir eine Menge Daten und viel Arbeit. Denn jetzt können Sie die Ergebnisse dieser Radfahrten auf einer interaktiven Karte betrachten. Die Karte zeigt die Ergebnisse der Partikelzählung beziehungsweise die Partikelmassenverteilung nach Teilchengröße. Beim Blick auf die Karte darf man jedoch nicht vergessen, dass die Standorte höchstwahrscheinlich nicht repräsentativ sind. Zum Beispiel fuhr ich an einem Tag an einer bestimmten Kreuzung hinter einem Bus her, aber am folgenden Tag oder in der nächsten Woche nicht. Und an manchen Tagen regnete es vielleicht oder es war ziemlich windig, Wetterlagen, die Partikelkonzentrationen in der Luft eher senken. Aber weil viele dieser Routen recht häufig abgefahren wurden, werden wir hoffentlich in der Lage sein, die Daten zuzuordnen und sich herausbildende Muster zu analysieren. Man möchte meinen, dass Radfahrer in einem Park eine bessere Luftqualität erleben als auf einer vielbefahrenen Straße (unsere erste Einschätzung bestätigt dies). Aber wie sieht es mit der Fahrt auf einer kombinierten Bus-Rad-Spur im Vergleich zu einem Radweg aus, der durch etwas Abstand oder parkende Autos von der Straße getrennt ist? Macht das einen Unterschied? Diese Daten werden uns hoffentlich Einblicke in Luftverschmutzungsmuster geben, so dass wir zum Beispiel Vorschläge zur Infrastrukturentwicklung machen können, die eine Belastung von Radfahrern durch Fahrzeugemissionen minimieren würden. Wenn uns diese Messungen jedoch noch nicht genug sagen, könnten sie doch Einsichten zu der Frage liefern, wie, wo und wann künftige Fahrradmessungen organisiert werden sollten, so dass wir aus den Daten, die wir sammeln, die bestmöglichen, brauchbaren Informationen gewinnen können.

Photos: IASS

Kommentare

Gast am 18.06.2016 - 22:58

Sehr wichtige Studie, Danke.

Wir bauen gerade an einem Radverkehrskonzept für die Kleinstadt Eutin. Radfahrer müssen an Ampelkreuzungen bisher immer hinter startenden Autos an Ampeln warten. Das Feinstaubproblem ist einfach erkennbar: Weisswandreifen sind am Vorderrad auf der linken Seite des Rades nach einer Fahrt dunkelgrau. Der Verkehrsplaner empfiehlt Schutzstreifen und vorgezogene Haltelinien statt bisher getrennte, zu schmale Radwege, die an Ampelkreuzungen auf der Fahrbahn enden.

Vielleicht können sich aus Ihrer Studie ja normative Aussagen für Verkehrsplaner entwickeln, z.B. zu diesen Fragen:

a) Wird durch vorgezogene Haltelinien und Halt vor den Autos an Ampelkreuzungen die Feinstaubbelastung für Radfahrer deutlich verringert?

b) Kann ein Radfahrer, wenn er hinter einem startenden PKW wartet, durch einen sinnvollen Abstand seine Feinstaubbelastung reduzieren? Wieviel m sind am besten?

Zum Meßaufbau eine Anmerkung: Die Luftansaugung scheint auf dem Bild in niedriger Höhe (unter dem Sattel) zu sein. Wäre nicht eine Ansaugung in der Nähe von Mund und Nase des Radfahrers sinnvoll?

LG, keep up the excellent work.

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